Major Forester stand in der Mitte der Kammer, das alte Buch in seinen Händen, während die Worte des alten Mannes in seinem Kopf widerhallten. Der Raum schien enger zu werden, als ob die Dunkelheit um ihn herum dichter und schwerer wurde. Das Ritual, das Angèle nicht vollendet hatte, lag nun vor ihm, und die Wahrheit, die er in den letzten Wochen gesucht hatte, fühlte sich schwerer an, als er es sich je vorgestellt hatte.
„Ein Leben muss geopfert werden… ein Nachkomme des Hauses Trebault“, murmelte Forester leise und sah zu dem alten Mann, dessen Augen auf das Buch gerichtet waren. Angèle wusste von diesem Preis, und sie hatte ihn nicht bezahlt – nicht aus Feigheit, sondern weil sie mehr verstanden hatte als jeder andere.
„Es war nicht ihre Entscheidung“, sagte der alte Mann ruhig, seine Stimme tief und bedächtig. „Angèle hat sich nicht gescheut, das Richtige zu tun. Sie wusste, dass der Preis für das Ritual zu hoch war. Ihre Familie hat schon genug geopfert. Aber nun… liegt es an Ihnen.“
Forester starrte auf die fremdartigen Symbole auf den Seiten des Buches. Jedes Wort schien in seiner Brust zu vibrieren, als ob das Wissen selbst eine eigene Macht besaß. Er hatte sich auf die Suche nach Antworten gemacht – und jetzt, wo er sie gefunden hatte, spürte er, dass die Verantwortung, die er trug, überwältigend war.
„Ich bin kein Nachkomme des Hauses Trebault“, sagte er schließlich und schlug das Buch zu. „Was also kann ich tun?“
Der alte Mann trat näher, seine Augen schienen jedes Detail von Foresters Gesicht zu studieren. „Die Dunkelheit verlangt immer nach einem Opfer, Major Forester. Aber es muss nicht das Blut der Trebaults sein. Es muss ein Opfer sein, das freiwillig gegeben wird – ein Opfer von jemandem, der sich bereitwillig der Dunkelheit stellt, um das Licht für andere zu bewahren.“
Forester atmete tief durch, als ihm klar wurde, was der Mann wirklich sagte. Es war nicht Angèle, die das Opfer bringen musste. Es war er.
Die Kälte des Raumes kroch ihm in die Glieder, doch sie war nichts im Vergleich zu der Erkenntnis, die sich in ihm festsetzte. Sein Leben war das einzige, das die Schatten endgültig verbannen konnte. Er hatte von Anfang an gespürt, dass er aus einem bestimmten Grund in das Château Noir gerufen worden war, doch nun verstand er, dass es mehr als Neugier war, die ihn hierhergeführt hatte. Es war Schicksal.
„Und wenn ich es tue?“ fragte Forester leise, den Blick immer noch auf das Buch gerichtet. „Wenn ich das Ritual vollende… was wird dann geschehen?“
„Dann wird die Dunkelheit weichen“, sagte der alte Mann ruhig. „Das Château Noir wird frei sein, ebenso wie Montferrat. Die Schatten werden zurückgedrängt, und der Fluch, der über den Trebaults lag, wird endgültig gebrochen. Aber du… wirst nicht zurückkehren.“
Forester spürte, wie sein Herz schneller schlug. Er wusste, dass es keinen anderen Ausweg gab. Angèle hatte den Mut gehabt, das Buch zu finden, aber sie hatte das Ritual nicht vollenden können, weil sie wusste, dass es nicht ihr Schicksal war, den Preis zu zahlen. Doch Forester hatte nichts mehr zu verlieren – und alles zu gewinnen, wenn es bedeutete, Angèle und das Château von dieser ewigen Last zu befreien.
„Es gibt keinen anderen Weg, oder?“ fragte er, auch wenn er die Antwort bereits kannte.
Der alte Mann schüttelte den Kopf. „Nein. Die Dunkelheit verlangt nach einem Leben. Und du bist der Einzige, der sie davon abhalten kann, wieder über das Château Noir und Montferrat zu kommen.“
Forester schloss die Augen und atmete tief durch. Er dachte an Angèle, an die Momente, die sie miteinander geteilt hatten – ihre Stärke, ihre Entschlossenheit, ihr trauriges Lächeln, als sie das Château für immer verlassen hatte. Sie hatte ihm mehr bedeutet, als er sich eingestehen wollte, und auch wenn er nie wirklich die Chance gehabt hatte, diese Gefühle zu erkunden, wusste er, dass er alles für sie tun würde.
„Gut“, sagte er schließlich und öffnete die Augen. „Ich werde es tun.“
Der alte Mann nickte und trat zurück, während Forester das Buch wieder auf den steinernen Altar legte. Er öffnete es vorsichtig auf der Seite, auf der das Ritual beschrieben war. Die Worte schienen nun klarer, als ob die Zeit, die er mit dem Buch verbracht hatte, ihm ein tieferes Verständnis gegeben hätte. Es war, als ob das Buch ihn darauf vorbereitet hatte – ihn als den Auserwählten erkannte, der das Opfer bringen würde.
„Lies die Worte“, sagte der alte Mann, „und sprich sie laut aus. Das Ritual wird beginnen, sobald du den ersten Satz gesprochen hast. Sei bereit, Major Forester. Es wird dich bis an deine Grenzen bringen.“
Forester nickte, seine Hände zitterten leicht, doch seine Entschlossenheit wuchs. Er las die ersten Worte des Rituals, und als er sie laut aussprach, begann die Luft im Raum zu vibrieren. Die Symbole auf dem Boden leuchteten auf, als ob sie durch eine unsichtbare Macht erweckt wurden. Ein tiefer, dröhnender Klang erfüllte den Raum, und die Schatten an den Wänden schienen sich zu bewegen, als ob sie auf Foresters Worte reagierten.
„Durch das Opfer dieses Lebens“, las Forester mit fester Stimme, „verlange ich, dass die Dunkelheit weicht, dass die Schatten verschwinden und die Welt ins Licht zurückkehrt. Das Blut, das gegeben wird, soll die Verbindungen lösen, die dieses Land und seine Menschen gefesselt haben.“
Die Worte schienen aus einer anderen Zeit zu stammen, und mit jedem Satz spürte Forester, wie die Dunkelheit um ihn dichter wurde. Die Schatten, die sich an den Wänden bewegten, schienen näher zu kommen, als ob sie ihn umschlingen wollten. Doch Forester blieb fest. Er wusste, dass dies der einzige Weg war.
Plötzlich spürte er einen stechenden Schmerz in seiner Brust, als ob etwas in ihm zerrissen wurde. Er keuchte, doch er ließ nicht nach – er musste das Ritual zu Ende bringen. Er las weiter, die Worte kamen schneller, und die Symbole auf dem Boden begannen zu leuchten, heller als zuvor. Es war, als ob das Licht gegen die Dunkelheit kämpfte, die ihn zu verschlingen drohte.
„Ich opfere mein Leben“, sagte er schließlich, seine Stimme war nun heiser. „Damit die Schatten niemals wiederkehren.“
Mit diesen letzten Worten durchzuckte ihn ein Schmerz, der so intensiv war, dass er auf die Knie sank. Die Dunkelheit um ihn herum schien ihn zu umarmen, und er fühlte, wie die Schatten über ihn herfielen. Doch inmitten des Schmerzes spürte er auch etwas anderes – eine Ruhe, eine Gewissheit, dass er das Richtige tat.
Der Raum um ihn herum begann zu verblassen, und das letzte, was er sah, war das schwache, warme Licht, das von den Symbolen auf dem Boden ausging. Es breitete sich langsam aus, bis es den gesamten Raum erfüllte, und dann, mit einem leisen Flüstern, verschwand die Dunkelheit.
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