Der Morgen war grau und still, als die Entscheidung endgültig getroffen wurde. Die dicken Wolken über dem Château Noir ließen nur wenig Licht durch, als ob die Natur selbst den bevorstehenden Abschied betrauern würde. Major Forester und Angèle standen nebeneinander im Innenhof, der vom kalten Wind durchzogen war. Der alte Brunnen in der Mitte des Hofes war trocken, und die Wände des Châteaus wirkten dunkler als je zuvor.
Die Stunden nach der Entdeckung des verborgenen Raumes hatten sich wie eine Ewigkeit angefühlt. Sie hatten das alte Buch zurückgelassen, die Bedeutung der Worte schwer auf ihren Schultern lastend. Angèle würde das Château verlassen müssen – für immer. Es gab keinen anderen Ausweg, um den Fluch zu brechen und ihre Seele von der Dunkelheit zu befreien, die über Generationen auf ihr lastete.
„Es gibt kein Zurück, sobald du gehst“, sagte Forester leise, seine Augen suchten Angèles Blick. „Du weißt, dass du nie wieder hierher zurückkehren kannst.“
Angèle nickte, ihre Augen fest auf das Château gerichtet, das sie seit ihrer Kindheit gekannt hatte. „Ich weiß“, flüsterte sie, ihre Stimme war brüchig. „Aber es ist nicht das Château, das mir am meisten fehlen wird. Es sind die Erinnerungen, die ich hier habe… und die Menschen.“
Forester trat näher zu ihr, seine Hand griff sanft nach ihrer. „Du wirst neue Erinnerungen schaffen können. Ein neues Leben beginnen, frei von diesem Fluch. Du wirst nicht mehr an diesen Ort gebunden sein.“
Angèle sah ihn an, und für einen Moment sah Forester die tiefe Traurigkeit in ihren Augen, die er so sehr bewunderte. Sie war nicht nur die Erbin eines verfluchten Hauses – sie war eine junge Frau, die so viel mehr verdient hatte, als nur ein Opfer für die Fehler ihrer Vorfahren zu sein.
„Aber du“, sagte Angèle leise, ihre Stimme zitterte leicht. „Ich lasse dich hier zurück.“
Forester atmete tief ein, während er ihre Hand fester hielt. „Es spielt keine Rolle, was mit mir geschieht, Angèle. Wichtig ist nur, dass du frei bist. Das war von Anfang an mein Ziel. Und wenn ich diesen Ort verlassen muss, um bei dir zu sein, dann werde ich es tun.“
Angèle schüttelte den Kopf, und eine einzelne Träne lief ihre Wange hinunter. „Du kannst nicht mit mir gehen, Forester. Du bist hierher gekommen, um etwas zu finden, und du hast es gefunden. Du hast das Château befreit, aber du gehörst nicht zu dieser Welt, so wie ich es tue. Dein Platz ist anderswo.“
Forester wollte protestieren, doch er wusste, dass sie recht hatte. So sehr er sich auch wünschte, sie in ein neues Leben zu begleiten, war der Weg, den sie beschreiten musste, ihrer allein. Er war nicht an dieses Château gebunden, aber Angèle war es – bis sie den letzten Schritt in die Freiheit machte.
„Und was wird aus dem Château, wenn du gehst?“ fragte Forester nach einer Weile.
Angèle sah auf die alten Mauern des Châteaus, die so lange ihre Heimat gewesen waren, und schüttelte langsam den Kopf. „Es wird bleiben“, sagte sie. „Doch es wird nicht mehr dasselbe sein. Ohne den Fluch wird es nur noch ein leerer, verlassener Ort sein. Vielleicht wird es verfallen, oder vielleicht wird jemand kommen und es wieder zum Leben erwecken. Aber es wird nie wieder das Château Noir sein, das ich gekannt habe.“
Forester spürte, wie sein Herz schwer wurde. Dieser Ort hatte so viel Dunkelheit gesehen, so viele verlorene Seelen. Und nun stand er kurz davor, seine letzte Verbindung zu der Familie zu verlieren, die ihn so lange beherrscht hatte.
„Wann wirst du gehen?“ fragte er schließlich, obwohl die Antwort bereits in der Luft lag.
Angèle drehte sich von ihm weg, ihre Augen auf die Ferne gerichtet. „Heute“, sagte sie leise. „Ich kann nicht länger warten. Je länger ich bleibe, desto schwerer wird es. Ich muss jetzt gehen, bevor ich den Mut verliere.“
Forester nickte, auch wenn es ihm das Herz brach, sie gehen zu lassen. Doch er wusste, dass es keinen anderen Weg gab. Sie mussten diesen Schritt wagen, um sie beide von der Last der Vergangenheit zu befreien.
Angèle sah ihn noch einmal an, und ihre Augen waren voller Zuneigung und Trauer. „Ich werde dich niemals vergessen, Forester. Du hast mir mehr gegeben, als ich mir jemals hätte erhoffen können. Du hast mich gerettet – nicht nur vor dem Fluch, sondern vor mir selbst.“
Forester wollte etwas sagen, doch seine Worte blieben ihm im Hals stecken. Stattdessen zog er sie in eine Umarmung, hielt sie fest, als ob er die Zeit anhalten könnte. Die Kälte des Morgens schien um sie herum zu verschwinden, während sie in diesem Moment verweilten, der ihr letzter gemeinsamer sein könnte.
Schließlich löste sich Angèle sanft aus seiner Umarmung und trat einen Schritt zurück. Ihre Augen glitzerten von den Tränen, doch ihre Stimme war ruhig, als sie sagte: „Leb wohl, Forester. Möge dein Weg ein anderer sein als meiner.“
Sie drehte sich um und begann langsam den Pfad hinunterzugehen, der vom Château wegführte. Forester stand reglos da, beobachtete, wie sie immer weiterging, ohne zurückzublicken. Er spürte, wie die Tränen ihm in die Augen stiegen, doch er hielt sie zurück. Dies war Angèles Moment – ihr Aufbruch in die Freiheit, die sie so lange entbehrt hatte.
Jeder Schritt, den sie tat, fühlte sich für Forester wie ein Stich ins Herz an, doch er wusste, dass es das Richtige war. Sie war dabei, den Fluch zu brechen, der ihre Familie seit Jahrhunderten gefangen hielt. Und er würde ihr nicht im Weg stehen.
Die Zeit schien sich zu dehnen, als Angèle sich dem Rand des Geländes näherte. Der Wind wehte ihr Haar um ihr Gesicht, doch sie ging unbeirrt weiter, immer mit Blick nach vorn.
Und dann war sie fort. Sie verschwand hinter den Bäumen, und das Château Noir lag wieder in seiner stillen, melancholischen Einsamkeit.
Forester blieb noch lange stehen, nachdem sie gegangen war, starrte auf den Punkt, an dem sie verschwunden war, als ob er die letzte Verbindung zu ihr halten könnte. Doch er wusste, dass dies das Ende war. Sie war frei – und er war es auch. Doch diese Freiheit fühlte sich seltsam leer an.
Schließlich drehte er sich um und ging langsam zurück in das Château. Es war still, die Räume wirkten verlassen und leer, als ob auch sie wussten, dass ihre letzte Bewohnerin nun fort war. Forester spürte, dass der Fluch gebrochen war – es gab keine Dunkelheit mehr, keine Schatten, die ihn beobachteten. Doch die Leere, die nun folgte, war fast noch schwerer zu ertragen.
Er würde nicht lange bleiben. Das Château Noir war nun nichts weiter als eine Ruine der Vergangenheit, ein Ort, der seine Bedeutung verloren hatte, als der Fluch endete. Es war an der Zeit, weiterzuziehen – so wie Angèle es getan hatte.
Doch während Forester seine letzten Schritte durch die alten Hallen machte, wusste er, dass er Angèle niemals vergessen würde. Sie hatte ihm mehr als nur ein Abenteuer gebracht – sie hatte ihm gezeigt, was es bedeutete, Opfer zu bringen, um jemanden zu retten, den man liebt.
Mit einem letzten Blick auf das Château Noir verließ Major Forester das Anwesen, das ihn so sehr verändert hatte, und trat hinaus in die Welt, die ihn jenseits der Mauern erwartete.
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