Die Stille, die nach dem Verschwinden der Schatten über dem Raum lag, war erdrückend. Es fühlte sich an wie die Ruhe nach einem gewaltigen Sturm, bei dem die Luft immer noch vor Spannung vibrierte. Major Forester stand inmitten des Ritualkreises, seine Brust hob und senkte sich schwer, während er versuchte, das Geschehene zu begreifen. Der Bann war gebrochen, und die düstere Präsenz, die so lange über dem Château Noir gehangen hatte, war endgültig verschwunden.
Doch es fühlte sich nicht wie ein Sieg an.
Forester spürte eine Leere, die tief in ihm widerhallte, als ob etwas Unausgesprochenes im Raum verweilte, eine unausweichliche Wahrheit, die noch nicht vollständig enthüllt worden war.
Angèle trat vorsichtig an ihn heran. Ihre Augen, die vor Sorge und Angst geglüht hatten, waren nun von einem leichten Glanz der Erleichterung erfüllt, doch es lag auch etwas Dunkles, Bedrückendes in ihrem Blick.
„Es ist vorbei“, sagte sie leise und legte eine Hand auf seinen Arm. „Lucien… er ist fort.“
Forester nickte, doch in seinem Inneren war er sich nicht sicher, ob die Bedrohung wirklich vorbei war. Es war nicht nur Lucien de Trebault, der ihn beunruhigte. Es war das Château selbst, das sich so lebendig anfühlte, als ob es die Ereignisse der letzten Jahrhunderte in seinen Mauern aufgesogen hatte. Diese Dunkelheit war tief in die Seele des Hauses eingedrungen, und Forester wusste, dass die Schatten nicht ohne Spuren verschwinden würden.
„Und doch“, sagte er langsam, „fühlt es sich an, als ob etwas fehlt.“
Angèle trat einen Schritt zurück, ihre Augen flackerten kurz, als ob sie eine versteckte Wahrheit erwägen würde, die sie noch nicht preisgegeben hatte. „Major… was du getan hast, war mutig. Du hast Lucien und die Schatten, die ihn gefangen hielten, besiegt. Aber es gibt noch etwas, das du wissen musst.“
Forester sah sie an und spürte, dass dies der Moment war, in dem die letzte Wahrheit ans Licht kommen würde – die Wahrheit, die den Schlüssel zum gesamten Geheimnis des Château Noir hielt.
„Was ist es, Angèle?“ fragte er leise. „Was hast du mir noch nicht gesagt?“
Sie zögerte, und für einen Moment schien es, als ob sie die Worte suchte, die sie nicht auszusprechen wagte. Dann holte sie tief Luft und begann zu sprechen, ihre Stimme leise, aber fest.
„Lucien war nicht nur von den Schatten besessen“, sagte sie. „Er hat nicht nur versucht, unsterblich zu werden. Es gab einen Grund, warum er dieses Ritual durchgeführt hat, warum er die Schatten gerufen hat. Er wollte nicht nur Macht und ewiges Leben – er wollte seine Familie schützen. Er wollte uns… schützen.“
Forester runzelte die Stirn. „Schützen? Wovor?“
Angèle sah ihn an, und ihre Augen waren plötzlich von tiefer Traurigkeit erfüllt. „Vor dem Fluch, der auf unserer Familie liegt“, sagte sie. „Der Fluch des Hauses Trebault.“
Forester spürte, wie eine Kälte in ihm aufstieg, als er die Tragweite ihrer Worte begriff. „Ein Fluch?“
Angèle nickte. „Es begann lange vor Lucien, vor Jahrhunderten, als unsere Vorfahren etwas taten, das die Mächte der Dunkelheit auf uns zog. Es war nicht Lucien, der die Schatten zuerst rief. Es war unsere Blutlinie, die sie an dieses Château band. Die Schatten sind das Erbe unserer Familie, und sie werden uns niemals verlassen.“
Forester starrte sie an, während die Wahrheit in ihm widerhallte. Lucien de Trebault war nicht der Ursprung des Bösen gewesen, sondern nur ein weiterer in einer langen Reihe von Mitgliedern der Familie Trebault, die versuchten, den Fluch zu brechen. Und in seiner Verzweiflung hatte er den Pakt mit den Schatten geschlossen – ein verzweifelter Versuch, das Unvermeidliche zu verhindern.
„Also… der Fluch ist noch immer hier?“, fragte Forester leise.
„Ja“, sagte Angèle. „Du hast Lucien besiegt, aber der Fluch, der auf unserer Familie lastet, wird nicht so leicht verschwinden. Die Schatten mögen verschwunden sein, aber die Dunkelheit, die das Château umgibt, ist tief verwurzelt. Es gibt nur einen Weg, es zu beenden.“
Forester spürte, wie sich sein Magen zusammenzog. „Und dieser Weg ist?“
Angèle sah ihm in die Augen, ihre Stimme war nun voller Ernst. „Der Fluch kann nur gebrochen werden, wenn der letzte Nachkomme des Hauses Trebault… das Château verlässt. Für immer.“
Forester starrte sie fassungslos an. „Aber das bist du.“
Angèle nickte langsam. „Ja. Ich bin die Letzte der Trebaults. Wenn ich gehe, wird der Fluch enden. Das Château wird seine dunkle Verbindung verlieren. Aber… es gibt etwas, das mich daran bindet. Etwas, das mich hierhält.“
Forester trat einen Schritt auf sie zu. „Was hält dich hier?“
Angèle senkte den Blick, und ihre Hände zitterten leicht, als sie sprach. „Ich… ich bin ein Teil des Châteaus, Major. Meine Familie hat mich hier gebunden, genauso wie Lucien. Wenn ich das Château verlasse, könnte ich sterben. Aber nur so kann der Fluch gebrochen werden.“
Die Worte trafen Forester wie ein Schlag in die Magengrube. „Das kann nicht wahr sein“, sagte er, seine Stimme war rau vor Unglauben. „Es muss einen anderen Weg geben.“
Angèle schüttelte den Kopf. „Es gibt keinen anderen Weg. Ich bin an dieses Château gebunden, und nur mein Tod oder meine endgültige Abkehr von diesem Ort wird den Fluch aufheben.“
Forester konnte den Gedanken nicht ertragen. Die Vorstellung, dass Angèle für immer an diesen düsteren Ort gebunden war, dass sie vielleicht ihr Leben opfern musste, um den Fluch zu brechen, war mehr, als er ertragen konnte.
„Das ist nicht fair“, sagte er schließlich, seine Stimme voller Verzweiflung. „Du kannst nicht dein Leben opfern, nur um diesen alten Fluch zu brechen.“
Angèle trat einen Schritt auf ihn zu und legte ihre Hand sanft auf seine Wange. „Manchmal gibt es keine Gerechtigkeit, Major“, sagte sie leise. „Manchmal gibt es nur das, was getan werden muss.“
Forester sah ihr in die Augen und spürte die Tiefe ihrer Entschlossenheit, die Wärme ihrer Berührung und die unaufhaltsame Traurigkeit, die in ihrem Inneren tobte. Er wusste, dass sie bereit war, dieses Opfer zu bringen, doch in ihm rebellierte alles gegen diese Vorstellung.
„Nein“, flüsterte er, seine Hand umfasste ihre. „Es muss einen anderen Weg geben. Ich werde ihn finden. Ich werde dich nicht hier zurücklassen.“
Angèle lächelte traurig, doch sie sagte nichts.
Eine lange Stille senkte sich über die beiden, und Forester spürte, wie die Dunkelheit des Châteaus erneut über ihnen lag – nicht mehr so bedrohlich wie zuvor, sondern wie eine schwere, melancholische Last.
„Es gibt immer noch Zeit“, sagte Angèle schließlich leise. „Aber nicht viel.“
Forester nickte. „Dann werde ich kämpfen“, sagte er entschlossen. „Ich werde einen Weg finden, dich zu retten. Dich und das Château.“
Angèle erwiderte nichts, aber in ihren Augen lag ein Funken Hoffnung, der in der Dunkelheit des Châteaus erstrahlte.
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