von
Ethel Lina Weiß
Ursprünglich veröffentlicht in Argosy (UK), August 1942
DIESE Geschichte beginnt mit einem Mord. Sie endet mit einer Mausefalle.
Der Mord kann in einem Absatz abgehandelt werden. Ein attraktives Mädchen, sorgfältig aufgezogen und erzogen für eine Zukunft, die nur eine verdrehte Kehle bereithielt. Am Ende von sieben Monaten steht ein ungelöstes Rätsel und eine Belohnung von 500 £.
Es ist ein langer Weg von einem Mord zu einer Mausefalle - und einer ohne Fingerabdrücke; aber die Polizei kannte jeden Zoll des Weges. Trotz ihres von der Presse und der Öffentlichkeit geschädigten Ansehens hatten sie die Identität des Mörders aufgeklärt. Es blieb nur noch das Problem, diesen vorsichtigen und tückischen Nager aus seinem unbekannten Kanal in der Unterwelt in ihre Falle zu locken.
Sie scheiterten wiederholt, weil ihnen der richtige Köder fehlte.
Und an einem Frühlingsabend tauchte der Köder unerwartet in der Person eines jungen Mädchens auf.
Käse.
Inspektor Angus Duncan war allein in seinem Büro, als die Nachricht ankam. Er war ein rothaariger Schotte, gut aussehend auf eine mürrische Art, mit dem Kinn eines Preisboxers und scharfen blauen Augen.
Er nickte.
'Ich werde sie sehen.'
Es war zwischen den Lichtern. Der Fluss, die Regierungsbüros und die Fabriken waren alle tief mit dem blauen Fleck der Dämmerung gefärbt. Sogar in der Stadt zeigten die Fliederbüsche grüne Spitzen und ein gelegentlicher Krokus schob sich durch das Gras der öffentlichen Gärten, wie verstreute Orangenschalen. Der Abendstern war ein Juwel am blassgrünen Himmel.
Duncan war unempfänglich für die Romantik der Stunde. Er wusste, dass die Dämmerung nur das Vorspiel zur Nacht war und dass die Dunkelheit ein Schutzschild für das Verbrechen war.
Er blickte scharf auf, als seine Besucherin eingelassen wurde. Sie war jung und hatte ein Blumengesicht - ihre schwachen Sommersprossen waren bereits zu einer Blässe verblasst. Ihr schwarzer Anzug war schäbig, aber ihr Hut war für den Frühling mit einem billigen Schlüsselblumenkranz geschmückt.
Als sie ihre blauen Augen hob, sah er, dass sie immer noch an die Süßigkeiten vom Lande erinnerten... Daraufhin sah er sie schärfer an, denn er wusste, dass Unschuld von allen Posen am leichtesten zu fälschen ist.
'Sie sagen, Roper hat Sie geschickt?', erkundigte er sich.
'Ja, Maggie Roper.'
Er nickte. Maggie Roper - die Nichte von Sergeant Roper - hatte sich bereits zu einer vielversprechenden jungen Detektivin entwickelt.
'Wo haben Sie sie kennengelernt?'
In dem Mädchenwohnheim, in dem ich wohne.'
'Ihr Name?'
Jenny Morgan.
'Vom Land?'
'Ja. Aber ich bin jetzt für immer weg.'
Endgültig? ...fragte er sich.
Alleine?'
'Ja.'
Wie kommt das?' Er sah ihr beim Trauern zu. 'Sind alle Menschen tot?'
Sie nickte. Am blitzartigen Schwung ihrer Wimpern erkannte er, dass sie mit einer Träne hart gearbeitet hatte. Es begünstigte ihn in ihrer Gunst. Seine Stimme wurde freundlicher und seine Lippen entspannten sich.
'Nun, worum geht es denn?'
Sie holte einen Brief aus ihrer Tasche.
Ich bin auf der Suche nach Arbeit und habe eine Anzeige in der Zeitung aufgegeben. Ich habe diese Antwort bekommen. Ich soll die Sekretärin einer Dame werden, mit ihr reisen und wie ihre Tochter behandelt werden - wenn sie mich mag. Ich habe mein Foto und meine Referenzen geschickt und sie hat einen Termin vereinbart.'
'Wann und wo?'
'Übermorgen, im First Room der National Gallery. Aber da sie schon älter ist, schickt sie ihren Neffen, um mich zu ihrem Haus zu fahren.
'Wo ist das?'
Sie sah beunruhigt aus.
'Darum macht Maggie Roper so einen Wirbel. Zuerst sagte sie, ich solle mich erkundigen, ob Mrs Harper - so heißt die Dame - meine Referenzen angenommen hat. Und dann bestand sie darauf, das Ritz anzurufen, von dem aus der Brief geschrieben wurde. Die Adresse war gedruckt, also musste es echt sein, nicht wahr?'
'War es das? Was geschah dann?'
Sie sagten, dass keine Mrs. Harper dort gewohnt hat. Aber ich bin mir sicher, dass es sich um einen Irrtum handeln muss. Ihre Stimme zitterte. 'Man muss schon etwas riskieren, um einen so guten Job zu bekommen.'
Sein Gesicht verfinsterte sich. Er fing an, Jenny als das Original zu akzeptieren.
Sagen Sie mir", fragte er, "haben Sie schon Erfahrungen mit dem Leben gemacht?
'Nun, ich habe immer mit meiner Tante auf dem Land gelebt. Aber ich habe alle möglichen Romane und Zeitungen gelesen.
'Morde?'
'Oh, die liebe ich.'
Er erkannte an ihrer kindlichen Stimme, dass sie die Zeitungsberichte nur als spannende Fiktion verschlang, ohne sich im Geringsten darüber im Klaren zu sein, dass die gedruckte Seite eine düstere Tatsache war. Er konnte sich das Bild vorstellen: eine behütete Kindheit inmitten grüner, schwammiger Wiesen. Aus Klee und Kühen konnte sie kaum Kultiviertheit schöpfen.
Hast du von dem Mord an der Bell gelesen?", fragte er unvermittelt.
'Meine Tante hat es mir nicht erlaubt.' Sie fügte im gleichen Atemzug hinzu: 'Jedes Wort.'
'Warum hat Ihre Tante es Ihnen verboten?'
'Sie sagte, es müsse ein besonders schlimmer Fall sein, weil sie alle schlimmen Stellen in der Zeitung ausgelassen hätten.'
'Haben Sie denn nicht mitbekommen, dass das arme Mädchen, Emmeline Bell, ein wohlerzogenes Mädchen in Ihrem Alter, durch die Beantwortung einer Zeitungsanzeige in den Tod gelockt wurde?'
Ich nehme an, ja. Aber so etwas passiert einem doch nicht einfach so.'
'Warum? Was kann Sie daran hindern, in eine ähnliche Falle zu tappen?'
'Ich kann es nicht erklären. Aber wenn etwas nicht stimmen würde, müsste ich es wissen.'
'Wie? Erwarten Sie, dass eine Glocke läutet oder ein rotes Licht "Gefahr" blinkt?'
'Natürlich nicht. Aber wenn Sie an Recht und Unrecht glauben, muss es doch eine Warnung geben.'
Er sah skeptisch aus. Dass die Unschuld eine Lilie in der Hand trug, war für ihn eine schöne Phrase und nichts weiter. Seine eigene Position in dieser traurigen Angelegenheit war für ihn der positive Beweis für das offizielle Versagen der Schutzengel.
'Lassen Sie mich bitte den Brief sehen', sagte er.
Sie betrachtete sein Gesicht ängstlich, während er las, aber sein Ausdruck blieb unergründlich. Mit angespannten Fingern ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen und bemerkte vage die drei Telefone auf dem Schreibtisch und die gestapelten Akten in den Ablagefächern. Eine Dogge schnarchte vor dem rotglühenden Feuer. Sie wollte den Raum durchqueren und ihn streicheln, aber es fehlte ihr der Mut, sich von ihrem Platz zu erheben.
Der Raum war warm, denn die Fenster waren nur ein paar Zoll nach oben hin geöffnet. Angesichts von Duncans wettergegerbter Hautfarbe kam ihr das seltsam vor.
Gott sei Dank ist die Zukunft verschleiert. Sie ahnte nicht, welche schicksalhafte Rolle die Dogge in ihrem eigenen Drama spielen würde, und es gab auch keinen Hinweis darauf, dass ein geschlossenes Fenster eine Barriere zwischen ihr und dem gähnenden Schlund der Hölle gewesen wäre.
Sie schreckte auf, als Duncan sprach.
'Ich möchte diesen Brief noch eine Weile aufbewahren. Werden Sie mich morgen um diese Zeit anrufen? In der Zwischenzeit muss ich Sie zur äußersten Vorsicht mahnen. Machen Sie keinen einzigen Schritt auf eigene Faust. Sollte sich etwas Neues ergeben, 'rufen Sie mich sofort an. Hier ist meine Nummer.'
Als sie gegangen war, ging Duncan zum Fenster. Die blaue Dämmerung hatte sich zu einer mit Lichtern durchsetzten Dunkelheit vertieft. Auf der anderen Seite des Flusses schrieben sich die Reklameschilder in bunten Perlen ab und zu.
Er glühte noch immer vor Aufregung wie ein Jäger, der die erste Spur seiner Beute entdeckt hatte. Obwohl er den Bericht des Sachverständigen abwarten musste, war er zuversichtlich, dass der Brief, den er in der Hand hielt, von dem Mörder der armen, mit einem schlechten Stern behafteten Emmeline Bell geschrieben worden war.
Dann verflog sein Hochgefühl, als er sich an Jennys wehmütiges Gesicht erinnerte. In dieser Stadt gab es noch Dutzende anderer Mädchen, zerbrechlich wie Windblumen - blumig-süß und bäuerlich-rau -, die durch wirtschaftlichen Druck in Positionen gezwungen wurden, die mit tödlichen Gefahren verbunden waren.
Die Dunkelheit senkte sich über sie wie ein dunkler Schatten, der mit Verbrechen schwanger ging. Und aus ihren Löchern und Kanälen stahlen sich die Ratten...
Endlich hatte Duncan den Köder für seine Ratte ausgelegt.
Ein junges und hübsches Mädchen - unwissend und ungeschützt. Käse.
Als Jenny, pünktlich auf die Minute, am folgenden Abend sein Büro betrat, schätzte er sie sofort als seinen zukünftigen Lockvogel ein. Sein erstes Gefühl war ein Gefühl der Enttäuschung. Entweder war sie in der Nacht geschrumpft oder ihre Augen waren größer geworden. Sie sah so zerbrechlich aus, wie sie ihn anstarrte, die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengebissen, dass es hoffnungslos schien, ihr den nötigen Mut für sein Vorhaben zuzutrauen.
'Oh, bitte sagen Sie mir, dass mit dem Brief alles in Ordnung ist.'
'Alles andere als richtig.'
Einen Moment lang dachte er, sie würde in Ohnmacht fallen. Er fragte sich unbehaglich, ob sie an diesem Tag etwas gegessen hatte. An der Schärfe ihrer Enttäuschung war zu erkennen, dass sie mit ihren Kräften am Ende war.
'Sind Sie sicher?', beharrte sie. 'Es ist sehr wichtig für mich. Vielleicht sollte ich den Termin besser wahrnehmen. Wenn mir die Sache nicht gefällt, muss ich sie nicht wahrnehmen.
'Ich sage Ihnen, es ist kein echter Job', wiederholte er. 'Aber ich habe Ihnen etwas anzubieten, was die Ware ist. Möchten Sie eine Chance auf 500 Pfund haben?'
Ihr errötetes Gesicht, ihre sehnsüchtigen Augen, ihre bebenden Lippen, all das antwortete ihm.
'Ja, bitte', war alles, was sie sagte.
Er suchte nach beruhigenden Worten.
'Es ist so. Wir haben Ihren Brief geprüft und wissen, dass er aus einem schlechten Motiv heraus von einer unerwünschten Person geschrieben wurde.
'Sie meinen einen Kriminellen?', fragte sie schnell.
'Ähm. Seine Akte ist nicht gut. Wir wollen ihn zu fassen bekommen.'
'Warum tun Sie es dann nicht?'
Er unterdrückte ein Lächeln.
'Weil er sich uns nicht anvertraut. Aber wenn Sie den Mut haben, Ihre Verabredung morgen einzuhalten und sich von seinem Boten zum Haus der vermeintlichen Mrs Harper bringen zu lassen, garantiere ich Ihnen, dass es das Versteck des Mannes ist, den wir suchen. Wir kriegen ihn - Sie bekommen die Belohnung. Die Frage ist: Haben Sie den Mut dazu?'
Sie war still. Dann sprach sie mit leiser Stimme.
'Werde ich mich in große Gefahr begeben?'
'Nein. Ich würde Ihre Sicherheit nicht um jeden Preis riskieren. Sie werden von Anfang bis Ende unter dem Schutz der Macht stehen.'
Sie meinen, ich werde von verkleideten Detektiven bewacht?
'Von dem Moment an, in dem Sie die National Gallery betreten, werden Sie doppelt und dreifach überwacht. Sie werden auf Schritt und Tritt verfolgt und sobald wir das Haus gefunden haben, wird es von der Polizei durchsucht.
Trotzdem werde ich für eine Minute oder so, kurz bevor Sie das Haus betreten können, mit ihm allein sein.
'Die kürzeste Zeit. Am Anfang werden Sie sicher sein. Er wird mit Annäherungsversuchen beginnen. Lenken Sie ihn mit Fragen ab. Lassen Sie ihn nicht sehen, dass Sie misstrauisch sind - oder dass Sie Angst haben.'
Duncan runzelte die Stirn, während er sprach. Es war seine Pflicht gegenüber der Gesellschaft, sie von einem gefährlichen Schädling zu befreien, und dazu war Jennys Kooperation unerlässlich. Doch zu seiner eigenen Überraschung missfiel ihm diese Notwendigkeit im Falle dieses besonderen Mädchens.
'Vergessen Sie nicht, dass wir zur Stelle sind', sagte er. Aber wenn Sie die Nerven verlieren, pfeifen Sie einfach und wir brechen sofort die Deckung auf.
'Werden Sie dabei sein?', fragte sie plötzlich.
'Nicht gerade im Vordergrund. Aber ich werde da sein.'
'Dann werde ich es tun.' Sie lächelte zum ersten Mal. Sie haben mich ausgelacht, als ich sagte, dass es etwas in mir gibt, das mir Dinge sagt. Aber ich weiß einfach, dass ich Ihnen vertrauen kann.
'Gut.' Seine Stimme war rau. 'Warten Sie ein wenig. Es hat Sie viel Geld gekostet, hierher zu kommen. Das hier wird Ihre Reisekosten und so weiter abdecken.
Er drückte ihr einen Schein in die Hand und drängte sie unter Protest hinaus. Es war eine Genugtuung zu spüren, dass sie an diesem Abend essen würde. Als er sich an seinen Schreibtisch setzte, um sich auf die Arbeit vorzubereiten, war sein eisiges Gesicht kein Indiz für die Gefühle, die Jennys Abschiedsworte in ihm auslösten.
Bislang hatte er Frauen lediglich als 'Röcke' betrachtet. Er hatte einen Kochtopf mit einer wütenden Frau am geschäftlichen Ende lediglich als Waffe betrachtet. Zum ersten Mal hatte er die häusliche Vision eines Mädchens vom Lande - cremig und duftend wie Mädesüß - in einem schönen weiblichen Set von Töpfen.
Als Jenny am nächsten Tag den Bahnhof von Victoria betrat, verspürte sie einen Nervenkitzel, der fast einem Hochgefühl gleichkam. Im letzten Moment war der Treffpunkt in einem Telegramm von 'Mrs Harper' geändert worden.
Unmittelbar nachdem sie die Nachricht erhalten hatte, war Jenny zur Telefonzelle des Wohnheims gegangen und hatte die Planänderung gemeldet, mit der Bitte, ihr die Nachricht zu wiederholen, um jedes Risiko einer Verwechslung auszuschließen.
Und nun hatte das unglaubliche Abenteuer tatsächlich begonnen.
Der Bahnhof schien mit eiligen Menschen gefüllt zu sein, als sie langsam auf die Uhr zuging. Ihre Füße hinkten auf dem Weg etwas hinterher. Sie fragte sich, ob der finstere Bote bereits den gelben Kranz an ihrem Hut markiert hatte, den sie als ihr Erkennungszeichen bezeichnet hatte.
Dann erinnerte sie sich an ihre Wachen. In diesem Moment waren sie hier, unbekannt, und überwachten jede ihrer kleinsten Bewegungen. Es war ein seltsames Gefühl, dass sie von unsichtbaren Gestalten ausspioniert wurde. Doch es half ihr, die Muskeln in den Knien zu stützen, als sie sich unter der Uhr aufstellte und das Gefühl hatte, sich als Zielscheibe für Schüsse zu eignen.
Nichts geschah. Keiner sprach mit ihr. Sie wurde ermutigt, sich umzusehen...
Ein paar Meter entfernt betrachtete ein sympathischer, elegant gekleideter junger Mann sie verstohlen. Er trug eine gelbliche Mustertasche, die ihn als Schlagzeuger auswies.
Plötzlich war sich Jenny sicher, dass dies einer ihrer Wächter war. Sein scharfes, glatt rasiertes Gesicht hatte etwas, das sie an Duncan erinnerte - einen Hauch von Adler in seinen Augen. Sie schenkte ihm den Ansatz eines Lächelns und war begeistert, als er fast unmerklich mit einem Augenlid flatterte. Sie deutete es als ein Signal zur Vorsicht. Erschrocken über ihre Indiskretion, blickte sie starr in eine andere Richtung.
Dennoch - es half ihr zu wissen, dass er da war, auch wenn sie ihn nicht sehen konnte.
Die Minuten verstrichen langsam. Sie begann sich Sorgen zu machen, ob es sich bei der Angelegenheit nicht um einen Scherz handelte. Es wäre nicht nur ein lahmes Ende des Abenteuers, sondern eine echte Enttäuschung. Sie würde sich die Chance auf eine Summe entgehen lassen, die für sie ein kleines Vermögen bedeutete. Sie war so dringend auf das Geld angewiesen, dass sie sich schon für fünf Pfund auf das Abenteuer eingelassen hätte. Außerdem verspürte sie nach den Jahren der Einsamkeit auf dem Lande einen Kitzel bei dem bloßen Gedanken an ihre vorübergehende Verbindung mit der Unterwelt. Das war das pure Leben; während sie sie abschirmte, während sie ihm half, arbeitete sie mit Angus Duncan zusammen.
Sie lächelte - und schreckte dann wie vor den Kopf gestoßen auf.
Jemand hatte sie am Arm berührt.
'Habe ich die Ehre, das Glück und die Freude, Miss Jenny Morgan anzusprechen? Gelber Kranz im Hut der Dame. Rote Blume im Knopfloch des Herrn, wie vereinbart.'
Der Mann, der sie ansprach, war jung, hatte einen Stiernacken und eine blühende Hautfarbe, die in Flecken überging. Er trug eine rote Nelke im Knopfloch seines karierten Mantels.
'Ja, ich bin Jenny Morgan.'
Während sie sprach, sah sie ihm in die Augen. Sie spürte einen scharfen Ekel - ein instinktives Zurückweichen ihres ganzen Wesens.
Sind Sie der Neffe von Mrs. Harper?', zögerte sie.
'Das ist richtig. Entschuldigen Sie, dass ein Herr eine Dame warten lässt, aber ich bin nur auf ein Glas Milch in die Bar gegangen. Ich habe ein Taxi, das auf mich wartet, wenn Sie nur kurz rausgehen würden.
Jennys Gedanken arbeiteten schnell, als sie ihm folgte. Sie war vorgewarnt und geschützt. Aber wenn Maggie Roper nicht eingegriffen hätte, hätte sie diesen Termin unter ganz anderen Umständen wahrgenommen. Sie fragte sich, ob sie diese instinktive Warnung beherzigt und sich geweigert hätte, dem Fremden zu folgen.
Sie schüttelte den Kopf. Ihr Bedürfnis war so dringend, dass sie in ihrem Wunsch, das Beste zu glauben, wusste, dass sie ihren Mut zusammengenommen und ihre Ängste als Nerven überspielt hätte. Sie hätte genau das getan, was sie jetzt tat - einen unbekannten Mann zu einem unbekannten Ziel begleiten.
Sie erschauderte bei dieser Erkenntnis. Es hätte sie selbst sein können. Die arme, wehrlose Jenny, die ins Verderben rennt.
In diesem Moment sah sie sich dem ernsten Blick eines stämmigen Geistlichen gegenüber, der am Bücherstand stand. Er war rötlich, trug eine Hornbrille und hatte die Church Times in der Hand.
Sein verständnisvoller Blick war fast so aussagekräftig wie eine stimmliche Botschaft. Es erfüllte sie mit Dankbarkeit. Wieder war sie sich sicher, dass es sich um eine zweite Wache handelte. Als sie sich umdrehte, um zu sehen, ob der junge Handelsreisende ihr folgte, stellte sie erfreut fest, dass er ihr in den Bahnhofshof vorausgegangen war. Er stieg genau in dem Moment in ein Taxi ein, als ihr Begleiter die Tür eines wartenden Taxis aufstieß. Es war nur das Wissen, dass Duncan damit sein Versprechen einlöste, das sie veranlasste, in das Fahrzeug einzusteigen. Wieder einmal rebellierten ihre Nerven und sie wurde von schlimmen Vorahnungen geplagt.
Als sie losfuhren, verspürte sie den übermächtigen Drang, laut um Hilfe zu schreien - nur weil das alles einem armen Mädchen hätte passieren können, das nicht so viel Glück hatte wie sie.
Ihr Begleiter stupste sie an.
'Ein bisschen in Ordnung, eine Spritztour, was?'
Sie versteifte sich, aber es gelang ihr, ein Lächeln zu erzwingen.
'Ist es ein langer Ausflug?'
Ah, jetzt fragen Sie.'
'Wo wohnt Mrs. Harper?'
Ah, das ist verräterisch.'
Sie wich zurück, angewidert von seinem fleckigen Gesicht, das ihrem eigenen so nahe war.
'Bitte geben Sie mir mehr Platz. Es ist stickig hier.'
'Lassen Sie sich keine Freiheiten mit mir herausnehmen. Ich bin ein verheirateter Mann und habe vier Frauen, die alle arbeitslos sind.' Zu ihrer Erleichterung rückte er trotzdem weiter weg. 'Sie sind vom Lande, nicht wahr? Netter Ort. Jede Menge Milch. Passt mir gut. Haben Sie etwas dagegen, wenn ein Herr raucht?'
'Ich wünschte, Sie würden es tun. Das Taxi stinkt nach Whisky.'
Sie fuhren an St. Paul's vorbei, dem letzten Wahrzeichen in ihrem begrenzten Wissen über London. Mädchen aus den Büros gingen auf dem Bürgersteig vorbei, lachten und plauderten miteinander oder eilten geschäftlich vorbei. Eine Gruppe verstreute Krümel an die Tauben, die auf den Stufen der Kathedrale flatterten.
Sie beobachtete sie mit einem Anflug von Neid. Sichere, glückliche Mädchen.
Dann erinnerte sie sich daran, dass irgendwo im Verkehrsgewühl ein Taxi ihr eigenes beschattete. Sie fasste neuen Mut.
Die Fahrt verging wie ein unendlicher Albtraum, in dem sie ständig auf der Hut war, um die Annäherungsversuche ihres unangenehmen Begleiters abzuwehren. Irgendetwas schien immer kurz bevorzustehen - etwas Unangenehmes, gerade außer Sichtweite und um die Ecke - und dann konnte sie es irgendwie abwenden.
Das Taxi brachte sie durch ein verstopftes Straßenlabyrinth. Auf Geschäfte und Büros folgten Lagerhäuser und Fabriken, die wiederum in Gegenden mit düsterem Elend übergingen, in denen sich Gaswerke mit grimmigen Wäschereien mit so verlockenden Schildern wie DEWDROP oder WHITE ROSE die Hand gaben.
Anhand des Sirenengeheul erkannte Jenny, dass sie sich in der Nähe des Flusses befanden, als sie in einen ruhigen Platz einbogen. Die hohen, schlanken Häuser vermittelten einen Hauch von düsterer Seriosität. An jedem Fenster hingen Spitzenvorhänge. Gipsananas krönten die Säulenveranden.
Hier ist unser "Elend".
Als ihr Reiseleiter seinen Schlüssel in die Tür von Nr. 17 steckte, blickte Jenny gespannt die Straße hinunter, gerade rechtzeitig, um ein Taxi um die Ecke biegen zu sehen.
'Steig ein, Liebes.'
Auf der Schwelle wich Jenny zurück.
Das Böse.
Niemals zuvor hatte sie seine Gegenwart gespürt. Aber sie wusste es. Es vergiftete die Luft wie die Dämpfe, die aus den Gittern einer Kanalisation aufsteigen.
Hätte sie sich in ihrer früheren Unwissenheit auf dieses Unternehmen eingelassen, war sie sicher, dass an diesem Punkt ihr Instinkt gesiegt hätte.
'Ich wäre niemals durch diese Tür gegangen.'
Sie irrte sich. Der Wille wurde von der Tafel gefegt. Ihr Arm wurde gepackt und bevor sie sich wehren konnte, wurde sie hinein gezogen.
Sie hörte das Zuschlagen der Tür.
'Bleiben Sie nie auf der Türschwelle stehen, meine Liebe. Das gibt dem Haus einen schlechten Ruf. Hier geht es lang. Die Treppe hoch. Um so näher am Himmel.'
Mit schwerem Herzen und voller Angst folgte Jenny ihm. Sie hatte den Kernpunkt ihres Abenteuers erreicht - die gefährlichen Minuten, in denen sie ganz allein sein würde.
Der Ort war schrecklich - ohne sichtbaren Grund für das Grauen. Es war keine dreckige Absteige im East End, sondern ein technisch sauberes Wohnhaus. Die Treppe war mit braunem Linoleum ausgelegt. Die gesprenkelte gelbe Tapete war intakt. Auf jedem Treppenabsatz stand ein Tisch mit Marmorplatte, der mit einer verzweifelten Aspidistra geschmückt war, und an jeder Tür lag ein mausernder Teppich. Die Luft war tot und roch vor allem nach Staub.
Sie stiegen vier Stockwerke hinauf, ohne jemandem zu begegnen. Nur ein leises Rascheln und Flüstern in den Zimmern verriet, dass noch andere Mieter hier wohnten. Dann stieß der Mann mit dem fleckigen Gesicht eine Tür auf.
'Junge Dame, ich möchte Mrs Harper wegen der Situation sprechen. To-tel-oo, meine Liebe. Ich hoffe, Sie haben Glück.'
Er schob sie hinein und sie hörte seine Schritte auf der Treppe.
In diesem Moment sehnte sich Jenny nach irgendjemandem - sogar nach ihrem verstorbenen Begleiter.
Sie war sich vage der Gestalt eines Mannes bewusst, der auf einem Stuhl saß. Zu verängstigt, um ihn anzusehen, ließ sie ihren Blick durch den Raum schweifen.
Wie der Rest des Hauses wirkte es wie eine Parodie auf die Seriosität. An den Fenstern hingen gelbliche Spitzenvorhänge, die von Töpfen mit langbeinigen Geranien gebügelt waren. Eine Sitzgruppe aus Nussbaumholz war mit verblichenen flaschengrünen Polstern und geplatzten Kissen gepolstert. Ein goldgerahmter Spiegel überragte einen Kaminsims aus gebeiztem Marmor, der mit einer Uhr, die unter ihrem Glaskasten stehen geblieben war, und einer Flasche Whisky geschmückt war. Auf einem kleinen Tisch neben der Tür stand ein schmutziger Käfig, in dem ein Graupapagei saß, dessen Augen zwischen faltigen Lidern nur Schlitze von böser Bosheit waren.
Es musste einfach kommen. Mühsam sah sie sich den Mann an.
Er war groß und schlank und in einen einst prächtigen Morgenmantel aus ausgefranster karmesinroter gesteppter Seide gehüllt. Auf den ersten Blick waren seine Züge nicht nur gut aussehend, sondern vermittelten auch einen Hauch von Bildung. Aber das ganze Gesicht war verschwommen - als wäre es eine von der Sonne halb geschmolzene Wachsmaske, über die der Fiend im Vorbeigehen leicht mit der Hand gefahren war. Seine Augen zogen sie in ihren Bann. Sie waren groß und strahlend und von einem so hellen Blau, dass sie fast weiß erschienen. Die Wimpern waren ungewöhnlich lang und zu Stacheln verfilzt.
Das Blut gefror in Jennys Herz. Das Mädchen war nicht dumm. Trotz Duncans vorsichtigen Erklärungen hatte sie ihre eigene Schlussfolgerung gezogen, die einen Zusammenhang zwischen einem ungelösten Mordfall und einer Belohnung von 500 Pfund herstellte.
Sie wusste, dass sie mit einem mörderischen Wahnsinnigen allein war - dem Mörder der von einem schlechten Stern umgebenen Emmeline Bell.
In diesem Moment wurde ihr der ganze Schrecken eines Verbrechens bewusst, das noch vor wenigen Monaten nichts weiter als eine aufregende Zeitungsgeschichte gewesen war. Es machte sie krank, darüber nachzudenken, dass ein Mädchen - ganz wie sie selbst - dessen hübsches Gesicht furchtlos von der gedruckten Seite in die Welt lächelte, in all der Blindheit ihres jugendlichen Selbstbewusstseins in dieselbe Falle getappt war. Niemand, der ihre Schreie hörte. Niemand, der die Qualen dieser letzten schrecklichen Momente erahnen konnte.
Jenny verstand zumindest diesen ersten Schock der Erkenntnis. Sie kämpfte um Selbstbeherrschung. Beim Anblick dieses lächelnden, entstellten Gesichts wollte sie das tun, von dem sie instinktiv wusste, dass das andere Mädchen es getan hatte - ihren Untergang vorwegnehmen. Mit einer verzweifelten Anstrengung unterdrückte sie den Impuls, wie eine gefangene Kreatur durch das Zimmer zu stürmen, mit den Händen gegen die verschlossene Tür zu schlagen und um Hilfe zu schreien. Hilfe, die niemals kommen würde.
Glücklicherweise siegte der gesunde Menschenverstand. In ein paar Minuten würde sie nicht mehr allein sein. Selbst dann fuhr ein Taxi auf seiner Mission; die Drähte summten; hinter ihr war der Schutz der Macht.
Sie erinnerte sich an Duncans Rat, sich Zeit zu lassen. Es stimmte, dass sie es nicht mit einem Tier aus dem Dschungel zu tun hatte, das sich bei seinem Anblick auf seine Beute stürzt.
'Oh, bitte.' Sie erkannte die kleine Pfeife kaum wieder. 'Ich bin gekommen, um Mrs. Harper wegen ihrer Situation zu sprechen.'
'Ja.' Der Mann wandte seinen Blick nicht von ihrem Gesicht ab. 'Sie sind also Jenny?'
'Ja, Jenny Morgan. Ist Mrs. Harper da?'
'Sie wird gleich kommen. Nehmen Sie Platz. Fühlen Sie sich wie zu Hause. Wovor haben Sie Angst?'
'Ich habe keine Angst.'
Ihre Worte waren wahr. Ihre gespannten Ohren hatten schwache Geräusche draußen wahrgenommen - gedämpfte Schritte, das vorsichtige Schließen einer Tür.
Der Mann seinerseits bemerkte ebenfalls die Unruhe. Ein paar Sekunden lang lauschte er aufmerksam. Dann, zu ihrer Erleichterung, ließ er seine Aufmerksamkeit nach.
Sie schnappte wieder nach der Fiktion ihres zukünftigen Arbeitgebers.
'Ich hoffe, Mrs. Harper wird bald kommen.
'Warum haben Sie es denn so eilig? Kommen Sie näher. Ich kann Sie nicht richtig sehen.'
Sie standen sich Auge in Auge gegenüber. Es erinnerte sie an die alte Kindergeschichte von 'Rotkäppchen'.
'Was für große Augen du hast, Großmutter.'
Die Worte schwammen ihr im Kopf herum.
Schreckliche Augen. Wie weißes Glas, das in verzerrten Facetten zerbrochen war. Sie blickte in die Tiefen einer verdammten Seele. Hinab, hinab... Das arme Mädchen. Aber sie durfte nicht an sie denken. Sie muss tapfer sein und ihm Blick für Blick zurückgeben.
Ihre Lider fielen... Sie konnte es nicht länger ertragen.
Sie zuckte unwillkürlich zusammen, als sie seine Hände sah. Sie waren überdurchschnittlich groß - unmenschlich - und hatten lange verkrampfte Finger.
'Was für große Hände Sie haben.'
Bevor sie ihre Zunge beherrschen konnte, rutschten ihr die Worte heraus.
Der Mann hörte auf zu lächeln.
Aber Jenny hatte jetzt keine Angst mehr. Ihre Wachen waren in der Nähe. Sie dachte an den Detektiv, der die Tasche mit den Proben trug. Sie dachte an den stämmigen Geistlichen. Sie dachte an Duncan.
In diesem Moment befand sich der Handelsreisende in einem oberen Raum eines Stoffgroßhandels in der Stadt und hielt die modische blonde Käuferin mit seinem magnetischen blauen Auge fest, während er seinen Bestand an Crêpe-de-Chine-Unterwäsche präsentierte.
In diesem Moment saß der Geistliche in einem Eisenbahnwaggon dritter Klasse und sah zu, wie sich die Mulden der Downs mit Heliotrop-Schatten füllten. Er fühlte sich nicht ganz wohl. Seine Gedanken verharrten auf dem verängstigten Gesicht eines kleinen Mädchens vom Lande, das im Schlepptau eines menschlichen Geiers vorbeizog.
'Ich habe einen Fehler gemacht. Ich hätte es riskieren sollen, mit ihr zu sprechen.'
Aber - in diesem Moment dachte Duncan an sie.
Mr Herbert Yates, der Stenograf, der während der Abwesenheit von Duncans eigenem Sekretär die Lücke für einen Vormittag füllte, hatte Jennys Nachricht über die Telefonleitung empfangen, wiederholt und ordnungsgemäß aufgeschrieben. Als er die Schritte seines Chefs im Korridor hörte, setzte er seinen Hut auf, denn er war bereits überfällig für eine Verabredung zum Mittagessen mit einem der zahlreichen 'einzigen Mädchen der Welt'.
An der Tür traf er auf Duncan.
'Darf ich jetzt zum Mittagessen gehen, Sir?'
Duncan nickte zustimmend. Im Gang hielt er kurz inne, während er Yates seine Anweisungen für den Nachmittag gab.
'Irgendeine Nachricht?', erkundigte er sich.
'Eine kommt gerade, Sir. Es liegt unter dem Gewicht.'
Duncan betrat das Büro. Doch in dieser kurzen Zeitspanne hatte sich die Katastrophe ereignet.
Yates konnte nicht für das Geschehene verantwortlich gemacht werden. Es stimmte zwar, dass er Duncans Abwesenheit ausgenutzt hatte, um ein Fenster weit zu öffnen, aber er wusste nichts von einem Verstoß gegen die Vorschriften. In seiner Eile hatte er auch Jennys Nachricht auf das nächstgelegene lose Blatt geschrieben, das er zur Hand hatte, aber er hatte es vorsichtshalber unter einen schweren Briefbeschwerer gelegt.
Es war Duncans Dogge, die das Unheil anrichtete. Er war es gewohnt, zu dieser Stunde von Duncans Sekretär, der ein ausgesprochener Hundeliebhaber war, mit einem Keks verwöhnt zu werden. Da er seinen Keks nicht bekommen hatte, ging er auf die Suche danach. Mit seinen großen Pranke auf dem Tisch wühlte er in den Papieren und machte sich nichts aus einer Kleinigkeit von einem Briefbeschwerer. Und schon war es vorbei. Mit dem nächsten Windstoß flog Jennys Nachricht aus dem Fenster. Der Hund ging zurück auf seinen Teppich.
In dem Moment, in dem Duncan erfuhr, was geschehen war, suchte er verzweifelt nach Yates. Aber der schlaue und sportliche junge Mensch, der die Launen seiner Vorgesetzten zu durchschauen wusste, war verschwunden. Sie durchkämmten jeden Ort der Erfrischung in einem weiten Umkreis. Erst als Duncans Männer anriefen, um zu berichten, dass sie in der National Gallery nicht fündig geworden waren, wurde Yates in einer unterirdischen Spelunke entdeckt, wo er mit seinem Charmeur Kaffee trank und Zigaretten rauchte.
Duncan kam vierzig Minuten nach der vereinbarten Zeit in Victoria an.
Es war die bitterste Stunde seines Lebens. Der Anblick von Jennys Blumengesicht, das sich zu ihm umdrehte, verfolgte ihn. Sie hatte sich ihm anvertraut. Und in seinem Ehrgeiz, den Mann aufzuspüren, hatte er ihre Notlage ausgenutzt, um sie als Spielfigur zu benutzen.
Er hatte mit ihr gespielt und sie verloren.
Der Gedanke trieb ihn in den Wahnsinn. Obwohl er gestählt war, der Realität ins Auge zu sehen, wagte er es nicht, an das Ende zu denken. Jenny - ländlich-rau und blumig-süß - kämpfte selbst dann noch im Griff mörderischer Finger.
Selbst dann noch.
Jenny keuchte, während sie kämpfte, ihr Gehirn brannte. Die Sache war so schnell über sie hereingebrochen, dass sie sich vor allem ungläubig fühlte. Was zuvor geschehen war, verbrannte sich bereits in einem roten Nebel. Sie hatte danach keine klare Erinnerung mehr an diese angespannten Minuten des Fechtens. Es gab nur ein Zwischenspiel, das von einer unbestimmten Bedrohung erfüllt war - und dann das.
Und noch immer hatte Duncan nicht eingegriffen.
Ihre Kräfte ließen nach. Die Hölle brach auf und enthüllte Einblicke in ungeahntes Grauen.
Mit einer gewaltigen Anstrengung riss sie sich los. Es war nur ein kurzes Aufatmen, aber es genügte für ihr Signal - ein gebrochener, zittriger Pfiff.
Die Antwort kam sofort. Irgendwo vor der Tür war eine schroffe Stimme zu hören, die sie warnte.
'Perlice.'
Der Mörder versteifte sich, seine Ohren spitzten sich, jeder Nerv war angespannt. Seine Augen flackerten zur Decke, die von den Umrissen einer Falltür durchbrochen war.
Dann fiel sein Blick auf den Papagei.
Seine Finger auf Jennys Hals, hielt er inne. Der Vogel schaukelte auf seiner Sitzstange, seine Augen waren von böser Bosheit geschlitzt.
Die Zeit stand still. Der Killer starrte den Papagei an. Wer von der Bande hatte die Warnung ausgesprochen? Wessen Stimme? Nicht Glass-Eye. Nicht Mexican Joe. Das Geräusch schien aus dem Raum zu kommen.
Dieser Papagei.
Er lachte. Seine Finger spannten sich an. Angestrengt, um sich zu entspannen.
Eineinhalb Tage lang war er im Zimmer von Mutter Bargery gewesen. Während dieser Zeit war der Vogel stumm gewesen. Hatte es gesprochen?
Die Warnung hallte in seinem Kopf nach. Jeder Moment des Zögerns war mit Gefahren verbunden. In diesem Moment waren seine Feinde hier und stahlen sich nach oben, um ihn in ihre Falle zu locken. Der Instinkt des menschlichen Nagetiers, des Feindes der Menschheit, der ewig gejagt und bedrängt wurde, überwog. Mit einem Schwur warf er Jenny beiseite, sprang auf den Tisch und schlängelte sich durch die Falle der Tür.
Jenny war allein. Sie war zu betäubt, um zu denken. In ihren Ohren dröhnte es immer noch und vor ihren Augen schossen Lichter auf. Auf eine vage Art und Weise wusste sie, dass es bei dem Plan eine Panne gegeben hatte. Die Polizei war hier - doch sie hatte ihre Beute entkommen lassen.
Sie setzte ihren Hut auf und richtete ihr Haar. Ganz langsam ging sie die Treppe hinunter. Es gab keine Spur von Duncan oder seinen Männern.
Als sie den Flur erreichte, öffnete sich eine Tür und ein weißes Windbeutelgesicht blickte sie an. Hätte sie ihren Schritt beschleunigt oder das geringste Anzeichen von Angst gezeigt, hätte sie diesen Ort niemals lebend verlassen. Ihre Lässigkeit erwies sich als ihre Rettung, als sie die Tür mit der Bedachtsamkeit der Gewohnheit entriegelte.
Die Straße war menschenleer, bis auf ein leeres Taxi, das sie anhielt.
'Wohin, Miss?', fragte der Fahrer.
Unwillkürlich warf sie einen Blick zurück auf das triste Haus, das sich in seinen engen Mantel aus verrosteten Ziegeln zwängte. Für einen kurzen Moment sah sie ein weißes, verschwommenes Gesicht, das sich an die Glasscheibe presste. Bei diesem Anblick überkam sie die Erkenntnis in einer Welle von krankem Schrecken.
Es hatte keine Wachen gegeben. Sie hatte jeden Schritt auf dieser gefährlichen Reise allein gemacht.
Ihr Schrecken schärfte ihren Verstand und ließ sie handeln. Wenn ihr Augenlicht sie nicht getäuscht hatte, hatte der Mörder bereits entdeckt, dass der Alarm falsch war. Es war offensichtlich, dass er es nicht riskieren würde, in seinem derzeitigen Quartier zu bleiben. Aber es war möglich, dass er nicht mit einem Blitzangriff rechnete; es gab nichts, was ein rohes Mädchen vom Lande mit einer vorher abgesprochenen Allianz mit einer Macht in Verbindung brachte.
'Das nächstgelegene Telefonbüro', keuchte sie. 'Schnell.'
Ein paar Minuten später wurde Duncan von Jennys Stimme elektrisiert, die durch die Leitung rauschte.
'Er ist am Jamaica Square 17, SE. Wir dürfen keine Zeit verlieren. Er wird über das Dach entkommen...Schnell, schnell.'
'Gut. Jenny, wo wirst du sein?'
Bei Ihnen zu Hause. Ich meine, Scot-Quick.'
Während das Taxi Jenny zügig von dem düsteren Außenbezirk wegbrachte, prasselte eine verschrumpelte Hexe in das obere Zimmer des tristen Hauses. Sie nahm keine Notiz von der wütenden Bewohnerin und näherte sich dem Käfig des Papageis.
Sprich für Mutter, Liebes.
Sie hielt ihm ein Stück schmutzigen Zucker hin. Als sie pfiff, öffnete der Papagei seine Augen.
'Perlice.'
Es war mehr als zwei Stunden später, als Duncan sein Privatzimmer bei Scotland Yard betrat.
Sein Blick suchte Jenny.
Ein wenig blass, aber ansonsten nicht schlechter als nach ihrem Abenteuer, stand sie vor einer Teekanne, die der findige Yates bereitgestellt hatte. Die Dogge - ohne sich um den kleinen Zwischenfall mit dem Briefgewicht zu kümmern - nahm ihre Kekse und Streicheleinheiten mit einem tiefen Seufzer des Protests entgegen.
Yates sprang eifrig auf.
'Ist der Bulle abgehauen, Chef?'
Duncan nickte zweimal, das zweite Mal in Richtung Tür, um sie zu entlassen.
Jenny sah ihn etwas besorgt an, als sie allein waren. Von der maschinellen Kampfansage des Yard war kaum noch etwas zu sehen. Die Falten in seinem Gesicht schienen frisch aufgepolstert zu sein und unter seinen Augen befanden sich dunkle Falten.
'Jenny', sagte er langsam, 'ich habe Blut geschwitzt.'
'Oh, war er so schwer zu fassen? Hat er gekämpft?'
'Wer? Diese Ratte? Er ist uns ins Netz gelaufen, als er gerade abhauen wollte. Er wird schon wieder den Halt verlieren. Nein.'
'Warum sind Sie dann...'
'Sie.'
Jenny warf ihm einen flüchtigen Blick zu. Sie war gerade nach einer kurzen Phase des Halbverhungerns halb ermordet worden, aber sie beherrschte die Situation wie ein Löwenbändiger.
'Setzen Sie sich', sagte sie, 'und sagen Sie kein Wort, bevor Sie das hier getrunken haben.
Er begann gehorsam zu schlucken und stieß dann seine Tasse um.
'Jenny, Sie haben keine Ahnung, was ich durchgemacht habe. Du verstehst nicht, in was du hineingeraten bist. Dieser Mann...
'Er war natürlich ein Mörder. Das wusste ich die ganze Zeit.'
'Aber Sie waren in höchster Gefahr...'
'Ich hatte keine Angst, also spielte es keine Rolle. Ich wusste, dass ich Ihnen vertrauen kann.'
'Tu es nicht, Jenny. Drehen Sie das Messer nicht um. Ich habe Sie enttäuscht. Das war ein furchtbarer Fehler.'
'Aber es war in Ordnung, denn es ist gut ausgegangen. Sehen Sie, etwas sagte mir, dass ich Ihnen vertrauen sollte. Ich weiß es immer.'
In seiner Karriere hatte Duncan schon einige Fälle von Liebe auf den ersten Blick erlebt. Obwohl er sie also nicht ausschließen konnte, argumentierte er immer im Sinne Jennys.
Diese Dinge waren ihm nicht passiert.
Jetzt wurde ihm klar, dass es ihm passiert war - obwohl er ein vorsichtiger Schotte war.
Jenny", sagte er, "mir kommt es so vor, als ob ich jemanden brauche, der auf mich aufpasst.
'Da bin ich mir ganz sicher. Habe ich die Belohnung gewonnen?'
Seine Begeisterung war wie weggeblasen.
'Ja.'
'Da bin ich aber froh. Ich bin reich.' Sie lächelte fröhlich. 'Das kann also kein Mitleid für mich sein.'
'Mitleid? Oh, Jenny-'
Klick. Die Mausefalle war für den eingefleischten Junggesellen mit dem richtigen Köder aufgestellt.
Ein junges, freundloses Mädchen, heimelig und blumig-süß.
Käse.
ENDE
(Neuübersetzung: Alle Rechte vorbehalten)
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